Rote Karte für Tabus
Prominente Fußball-Akteure plädieren beim Podium zu Gunsten des Hospizes für einen anderen Umgang mit Druck, Depression, Burnout und öffentlichen Bekenntnissen
Es ist nicht ohne, einem wütenden Oliver Kahn mit klarer Haltung entgegenzutreten und ihm eine gelbe Karte zu präsentieren. Das hat Edgar Steinborn getan. Und der Ex-FIFA- und Bundesliga-Schiedsrichter und Hospizstiftungsbotschafter hatte zur Podiumsdiskussion der Hospiz-Stiftung Rhein-Ahr-Eifel über den Leistungsdruck im Profifußball auch noch andere Bild mitgebracht. Etwa eines, auf dem Harm Osmers, einer der aktuell aktiven FIFA- und Bundesliga-Schiedsrichter, FC-Bayern-Torwart Manuel Neuer im vergangenen November mit der ersten roten Karte in seiner Profikarriere konfrontierte. Auch wenn ihm das auf dem Platz damals gar nicht bewusste gewesen sei, wie Osmers bei der Podiumsdiskussion bekannte: „Aber ich wusste es, als ich danach auf mein Handy guckte und da 200 Nachrichten gesehen habe.“
Neben Steinborn und Osmers diskutierte auch Uli Weidenbach mit, einst Spieler in der höchsten Amateurklasse, Inhaber einer DFB-Trainerlizenz, Filmemacher und als Schauspieler und Choreograf beim „Wunder von Bern“ dabei. Sie alle stellten sich den Fragen des aus dem Radio bekannten Sportkommentators Manfred „Manni“ Breuckmann, der auch eigene Erlebnisse einflocht.
Mit Druck aus vielen Richtungen müssen Schiedsrichter im Fußball umgehen – und nicht nur die. Das wurde deutlich bei der Podiumsdiskussion vor vollen Reihen im Sparkasseninformationszentrum Ahrweiler. Das verdeutlichten auch dabei angesprochene Fälle wie der von Torwart Robert Enke, der sich 2009 mit Depressionen das Leben nahm, was Wellen schlug, inklusive einer Trauerfeier im Hannoveraner Fußballstadion „mit hohen Repräsentanten aus der Gesellschaft, die geschworen haben: Jetzt wird es besser, jetzt sind wir sensibler im Umgang mit den Spielern. Und was ist passiert? Es ist überhaupt nichts passiert.“ So Breuckmann. Empörung auch bei Edgar Steinborn, der an Ex-Schiedsrichter Babak Rafati erinnerte, der 2011 vor einer Spielleitung in Köln einen Suizidversuch unternahm: „Da waren tatsächlich Menschen im Stadion, die dachten, dann kann ja stattdessen der vierte Schiedsrichter pfeifen.“ Zum Glück sei „Vernunft eingekehrt“ und das Spiel abgesagt worden.
„In der Bundesliga gehören die mediale Begleitung und der öffentliche Druck sicherlich zu den größten Herausforderungen“, sagte Harm Osmers. Das stützte Steinborn, der nach einer Fehlentscheidung in der Bundesliga einmal mit Tomaten auf den Augen auf der Titelseite der auflagenstärksten deutschen Tageszeitung abgebildet war: „Dann kennt dich jeder. Vorher nicht. Da kannst du noch so viele Spiele gut gepfiffen haben.“
Allein die Medien verantwortlich zu machen, griff für Breuckmann zu kurz. Es gebe indes Akteure im Mediengeschäft, deren Verhalten er zuweilen als „völlig daneben“ bezeichnete. Etwa die Worte von Kollege Waldemar „Waldi“ Hartmann nach der Erklärung Ralf Rangnicks 2011, mangels Kraft und wegen Burnout den FC Schalke 04 nicht mehr trainieren zu können: ‚Wenn du in der Küche arbeitest, musst du wissen, dass es da heiß ist.“ Wie diese Äußerung kritisierte Breuckmann auch Aussagen von „Fußballfans“ wie etwa „Der verdient im Jahr acht Millionen Euro. Da soll er mir doch nix erzählen über Depressionen.“ Das Podium plädierte für mehr Anerkennung und einen anderen Umgang mit Bekenntnissen wie dem von Rangnick, bei damit „eine große Hürde übersprungen“ habe.
Druck im Fußball sei kein neuartiges Phänomen, sagte Uli Weidenbach. In den 70er und 80er Jahren seien Spieler diesem mit Alkohol- und Drogenkonsum begegnet, wusste er aus Recherchen. Und der Dokumentarfilmer erzählte aus einem Interview vor rund 20 Jahren mit Ottmar Walter, einem der „Helden von Bern“: „Auf die Frage nach der größten Leistung in seinem Leben, nannte er nicht den WM Titel 1954, sondern dass er sich nach seinem Suizidversuch Anfang der 60er Jahre wieder berappelt und daraus Kraft geschöpft hat. Sehr, sehr eindrucksvoll, wie der 75-jährige Ottmar Walter mir das anvertraut hat.“
„Vertrauen“ war auch die Antwort auf die eine der vielen Fragen, die unter anderem Harm Osmers nach der Diskussion aus dem Plenum gestellt wurden: Einer der wichtigsten Faktoren mit Druck umzugehen, seien Menschen, denen man vertraue und mit denen man bei Bedarf sprechen könne. Nach dem Podium fragte sich auch keiner mehr, was Fußball und Hospizarbeit eigentlich gemein haben. Hospizleitung Gabriele Ruggera hatte zu Beginn schon erklärt: „Was uns verbindet ist, Themen zu enttabuisieren. Leistungsdruck und Tod und Sterben sind Dinge, mit denen wir uns nicht gerne beschäftigen. Solche Themen verdrängen wir Menschen gerne, solange es geht.“ Die Hospiz-Stiftung Rhein-Ahr-Eifel will solche Themen mit der Vortragsreihe zum zehnten Geburtstag des stationären Hospizes im Ahrtal „normaler und besprechbarer machen“. Nicht ohne dabei unterhaltsam zu sein, wie das abgehaltene Podium, das mit zahlreichen Anekdoten gespickt war.
Weiter geht es entsprechend: Mit einem Vortag zu Unbekanntem und Amüsantem beim Making of des „Wunders von Bern“ mit Uli Weidenbach am Freitag, 4. April, um 19 Uhr, im Sparkasseninformationszentrum Ahrweiler, Wilhelmstraße 1. Der Eintritt zum Vortrag ist frei. Spenden erbeten. Wegen begrenzter Plätze ist eine Anmeldung erforderlich beim Hospiz-Verein Rhein Ahr, 02641/2077 969.
Pressemeldung Hospiz-Stiftung Rhein-Ahr-Eifel
©Foto: Hospiz-Stiftung Rhein-Ahr-Eifel (Andrea Simons)