200 Interessierte kamen zur Podiumsdiskussion der Hospiz-Stiftung Rhein-Ahr-Eifel mit Professoren und Praktikern
Entscheidung zwischen Selbstbestimmung und Leben respektive Fürsorgepflicht. Plädoyer für einen „Raum für Kommunikation“
Voll ist der Theatersaal des Bad Neuenahrer Wohnstifts Augustinums gewesen. Rund 200 Menschen jeden Alters drängten hinein. Das Interesse war offensichtlich groß – trotz oder gerade wegen des Themas. Denn alle seien betroffen, wie Ulrike Dobrowolny, Vorsitzende der einladenden Hospiz-Stiftung Rhein-Ahr-Eifel, erklärte: „Wir alle sterben, und wer das Thema nicht verdrängt, macht sich Sorgen um ein gutes Ende.“ Gleichzeitig komme in der Gesellschaft immer mehr die Frage nach einem schnellen geplanten und kontrollierten Tod auf: „Der assistierte Suizid ist in aller Munde.“ Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu im Jahr 2020 habe „dieses Thema auch in unseren 23 Seniorenresidenzen eine neue Dimension angenommen“, stellte als Hausherrin auch Stiftsdirektorin Caroline Hillesheim fest.
Dieser Entwicklung ist sich die Hospiz-Stiftung Rhein-Ahr-Eifel bewusst und lud deswegen zu einem hochkarätig besetzten Podium unter der Überschrift „Beim Sterben helfen“. Dabei nutzte das Publikum rege die Möglichkeit, Fragen zu stellen und von Professoren sowie Praktikern Antworten zu Ursachen und Folgen von Sterbewünschen und zu rechtlichen, ethischen und existenziellen Aspekten zu erhalten. Genauso wie das Podium Denkanstöße gab, nahm das Publikum praktische Anregungen für die Gestaltung von Lebensalltag und -ende mit sowie für das Agieren als Angehöriger, Mediziner, Pflegender, Kranker oder vielleicht Noch-Gesunder – schlicht als Mensch in einer zunehmend alternden und säkularen Gesellschaft.
Rational nicht lösbarer Konflikt
Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber 2016 versuchte, die „Hilfe zum selbstbestimmten Ausgang aus dem Leben“ mit einem Gesetz zur Regelung des gewerblichen assistierten Suizids zu regeln. „Das Bundesverfassungsgericht hat das mit dem bahnbrechenden Urteil 2020 aufgehoben, und im vergangenen Jahr ist ein Versuch einer neuen gesetzlichen Regelung gescheitert“, so Moderator Andreas Wittrahm. Dass die vielfach angenommene Grauzone gar nicht so grau ist, stellte der Jurist in der prominent besetzten Runde, Professor Torsten Verrel von der Universität Bonn, fest: „Die Beihilfe zur selbstverantwortlichen Suiziddurchführung war und ist straflos.“ Er führte aber auch die Schwierigkeit der Feststellung aus, ob eine solche Entscheidung tatsächlich freiverantwortlich – respektive „von gewisser Festigkeit und Dauerhaftigkeit“, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliere – getroffen wurde, heraus. Eben das müsse jemand, der einem anderen straffrei beim Suizid assistieren wolle, im Schwurfall deutlich machen. Ganz klar sagte der Jurist aber auch, der assistierte Suizid sei für ihn „nicht der primäre Weg, wie man sein Leben beenden sollte. Man soll sich gut (!) darüber informieren, welche anderen Vorsorgemöglichkeiten es gibt.“
„Bei der Selbsttötung und bei der Beihilfe zur Selbsttötung haben wir es im Grunde mit einem rational nicht lösbaren Konflikt zwischen dem Wert der Selbstbestimmung und dem Wert des Lebens zu tun“, so der Philosoph Michael Zichy. In diesem „Entscheidungsspielraum“ definierte er zwei wesentliche Fragen: Ist man je prinzipiell freiverantwortlich, und wann ist man es im konkreten Fall? Und: Inwieweit berührt die gesellschaftliche Entscheidung, die Beihilfe zur Selbsttötung zuzulassen, die Freiheit anderer? Schließlich seien von einer solchen Entscheidung unter anderem auch die Angehörigen betroffen sowie etwa ärztliches und pflegerisches Personal, „das plötzlich in seinem Rollenverständnis auf neue Herausforderungen trifft, oder Arzneimittelhersteller oder Apotheker, die möglicherweise nicht wissen, dass sie plötzlich mitverantwortlich sind für Tode von Menschen“. Zudem könnten sich Schwerkranke einem Druck ausgesetzt fühlen, auch eine solche Entscheidung zu treffen. Möglich sei auch eine „schleichende Entsolidarisierung“ der Gesellschaft insgesamt.
Über die Herausforderungen einer katholischen Klinik in Luxemburg, mit einem seit 2009 bestehenden Euthanasiegesetz umzugehen, sprach der dort tätige Krankenhausseelsorger Winfried Heidrich: „Unsere Reaktion war, dass wir kompetenter werden müssen in der Palliativecare, um so den Fragen der Begleitung am Lebensende qualifiziert zu begegnen.“ Sie hätten ein Palliativhandbuch geschrieben, das Personal für den Umgang mit sozialen, pflegerischen und medizinischen Fragen geschult und einen Palliativmediziner eingestellt.
Als Palliativmedizinerin und Leiterin der „Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung“ (SAPV) im Kreis Ahrweiler überraschte Heide Brumhard manche im Plenum, dass es entgegen verbreiteter Annahme nicht der Schmerz sei, unter dem Menschen am Lebensende vor allem litten, sondern zuvorderst Schwäche, Müdigkeit und Übelkeit. „Gegen all diese Symptome gibt es auch eine Möglichkeit, mit Medikamenten einzugreifen“, sagte sie. Noch vor dem Schmerz stünden indes Faktoren wie die Überforderung von Angehörigen und Hilfebedürftigkeit im Alltag. „Mehr und mehr begegnen uns in der ambulanten Arbeit multifaktorielle Symptome: psychische Belastungen, soziale und kulturelle Aspekte.“
„Wir lernen nicht mehr, wie sterben eigentlich geht“, stellte Heide Großgarten, Koordinatorin vom Hospiz-Verein Rhein-Ahr, fest. Das im Laufe der Generationen verloren gegangene Wissen um den Umgang mit Sterben und Tod müsse man Menschen wieder nahe bringen: „Wir erleben jeden Tag, wie offen und froh Menschen sind, wenn jemand kommt, der keine Angst vor dem Thema hat. Oft komme ich in eine Familie, und die haben noch nicht einmal übers Sterben gesprochen.“ Gegen Sterbewunsch, Angst und Rückzug am Lebensende helfe Kommunikation.
Ehrenamt als Brückenbauer
Das unterstrich Nadine Kreuser, Vorstandsmitglied im Deutschen Hospiz-und Palliativverband (DHPV), Hospizbegleiterin, Ethikberaterin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bonn: „Medizinisch sind wir schon sehr weit, aber wir haben auch gehört: Schmerzen beziehen sich nicht nur auf die körperliche Symptomlast. Es ist ein physischer, ein spiritueller Schmerz, soziales und existenzielles Leiden. Und wenn wir von einer Kultur des Lebens der Sterbens sprechen, muss es einen Raum geben des So-Sein-Dürfens, des Daseins und vor allem des Ernstgenommenwerdens.“ Sie plädierte für einen Raum, in dem Ängste und Bedürfnisse ohne Zwang und Druck Ausdruck finden, „ein sicherer Raum für Kommunikation“- und das auch in den Institutionen. Gerade auch in den Einrichtungen bewege man sich im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmungsrecht einerseits und Fürsorgepflicht andererseits. Da müsse über rechtliche Rahmen und Handlungsspielräume gesprochen, Strukturen installiert und Grenzen des Machbaren identifiziert werden: „Und ich glaube, der wichtigste Punkt ist, wenn wir über eine Kultur des Lebens und Sterbens sprechen, eine Kultur des Ehrenamts. Wir machen oft eine Dichotomie auf: Hier leben, da sterben. Aber eigentlich gehört beides zusammen. Und genau das macht das Ehrenamt. Es bringt den Alltag oder das Leben mit in stationäre Einrichtungen.“ Das Ehrenamt schlage eine Brücke, denn die Ehrenämtler nähmen ihre Erlebnisse auch wieder mit aus den Einrichtungen und brächten sie in den Alltag außerhalb und in das Bewusstsein der übrigen Bevölkerung hinein, was zu einer „Kultur des Gesprächs“ beitrage.
Immer wieder Kommunikation. Deren Bedeutung unterstrichen die Ethikerin genauso wie der Jurist und die Palliativmedizinerin und gaben der Zuhörerschaft mit auf den Weg: Egal, welchen Weg man gehen wolle, sei es wichtig, sich mit nahe stehenden Menschen über sein Leben und über sein Lebensende auszutauschen. „Sprechen Sie mit Leuten“, so Verrel. Und riet zur Vorsorge, besonders in Form etwa einer Vorsorgevollmacht: „Einsame Entscheidungen“ wollten auch die Juristen nicht haben.
Zur Kommunikation sollte auch das Podium anregen und „einen dynamischen Prozess anstoßen und die Bürger wieder in die Verantwortung zu nehmen, an einem guten Ende mitzuwirken“, betonte Dobrowolny. Diese Veranstaltung der Hospiz-Stiftung Rhein-Ahr-Eifel sei auch ein von der Bundesregierung empfohlener Beitrag zur Suizidprävention gewesen, die ausgebaut werden soll.
Pressemeldung Hospiz-Stiftung Rhein-Ahr-Eifel
Fotos: ©Fotos: Hospiz-Stiftung Rhein-Ahr-Eifel (Andrea Simons)